6-monatiges Seminar von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School
April - September 2018
Cover des Katalogs zum Seminar The Theatre of Real Life vol. 13, Foto: Susanne Baumgarten
mit Arbeiten von:
Astrid Wortmann • Hildegard Weber-Hagen • Heinrich Lux • Dieter Röseler •
Roland Rast • Charlotte Wermuth • Oliver-Parviz Engel • Susanne Baumgarten
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Vor ca.100 Jahren hat der bedeutende deutsche Fotograf August Sander mit seinem Mappenwerk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ ein epochales Dokument seiner Zeit mit einem großen Einfluss auf nachfolgende Generationen geschaffen. An der Wand in den Räumen einer großen retrospektiven Ausstellung in Köln war sein Anspruch zu lesen, dass es mit seinen mit präzisen großformatig aufgenommenen Porträts im dokumentarischen Stil möglich sei, "Bildnisse zu schaffen, die die Betreffenden unbedingt wahrheitsgetreu und in ihrer ganzen Psychologie wiedergeben" (August Sander an Erich Stenger, 1925). Bei aller Bewunderung für die Qualität seiner Porträtaufnahmen kann dieses Urvertrauen in die ungebrochene Authentizität einer fotografischen Abbildung aus heutiger Sicht kaum mehr aufrecht erhalten werden.
Die Arbeiten in diesem Katalog, die im Rahmen des Fotoseminars „The Theatre of Real Life“ von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School Köln entstanden sind, befassen sich alle mit dem Bild des Menschen und sind sich dabei bewusst, dass es keine eindeutige Wahrheit im Blick auf unsere Lebenswelt gibt, sondern dass jede fotografische Arbeit eine subjektive Interpretation darstellt, basierend auf den persönlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Prägungen. Kein wissenschaftliches Konzept und keine technische Perfektion liefert die Garantie für die Wahrheit. Es ist gerade die Paradoxie der Bilder, die zum Selbstbewußtsein bringt, was unsere Existenz ausmacht, das Unlogische und Widerspruchsreiche.
Astrid Wortmann, Die vierte Wand
Astrid Wortmann verdichtet in ihren fotografischen Arbeiten Szenerien des Alltags zu einem Theater des realen Lebens. Die sehr klaren und subtilen Kompositionen der Farbfotografien ihrer Serie Die vierte Wand lassen urbane Räume wie Bühnen für Kammerspiele des Vertrauten erscheinen. Auch wenn sich keine Dramen in ihren Bildern abspielen wird der Betrachter sensibilisiert für die Gefühlswelten ihrer Protagonist/Innen in einem Schwebezustand zwischen Einsamkeit und Begegnung. Wir werden entführt in einen Prozess der Entschleunigung, der das Warten auf das Unbestimmte zum Kernmotiv unseres Lebens macht
Hildegard Weber-Hagen, Inanspruchnahme des Raumes
Hildegard Weber-Hagens visuelle Studien befassen sich dagegen mit der aktiven Inanspruchnahme des Raumes, die Menschen und Objekte auf ihre Umwelt ausüben. Mit einem offenen Konzept sammelt sie Eindrücke aus ihrem unmittelbaren Lebensumfeld. Ihre Fundstücke sind dabei durch einen fragmentarischen Blick aus dem funktionalen Zusammenhang herausgerissen. Diese Form der Abstraktion macht es erst möglich, auf einer bildhaften Metaebene assoziative Kontexte herzustellen, die Raum für ein Querdenken und somit für eine Wahrnehmung jenseits der eingefahrenen Bedeutungsmuster schafft
Heinrich Lux, Beiläufig, unscharfes
Beiläufig, unscharfes in der Wahrnehmung einer Erlebniswelt voller grotesk wirkender Widersprüche fügt Heinrich Lux zu einem Bildessay zusammen, der wie ein Sog wirkt in radikal subjektive Visionen unserer Gegenwart zwischen Künstlichkeit und Authentizität. Kein analytischer Blick friert die Zeit ein zugunsten einer logischen Betrachtung unserer Lebensräume. Die Schnitttechnik der Bildsequenzen forciert in ihrem beschleunigten Rhythmus die Schärfung unseres Bewusstsein für das Beiläufige, scheinbar Zufällige und doch Wesentliche für eine persönliche Sicht auf den Alltag. Nichts soll bewiesen werden und somit bleibt Raum für ein Staunen über das permanente Abenteuer, sein Leben zu leben.
Dieter Röseler,#minnsche
Die unterschiedlichsten Biografien von Menschen, die sich von ihren eigenen Leidenschaften haben treiben lassen, sind das Faszinosum, das Dieter Röseler stimuliert hat zu seiner Serie #minnsche. Seine expressiven Porträts in Schwarz und Weiss zeigen Individuen und strotzen voller Sinnlichkeit, wobei sie in ihrer formalen Präzision doch gleichzeitig ausdrucksstarke Dokumente unserer Zusammenlebens sind. Geprägt von August Sander sieht er seine Menschenbilder in der Addition als komplexes Bild der Gesellschaft. In seiner Stilistik zeigen sich aber dagegen große Unterschiede, da er nicht immer die gleiche Distanz zu den Abgebildeten hält. Eine strenge Serialität gibt er auf zugunsten einer Nähe zu seinen Protagonist/Innen, die erst einen emotionalen Zugang und vagen Einblick in deren Psyche möglich macht.
Roland Rast, Bei der Arbeit
In den Porträts der Serie Bei der Arbeit von Roland Rast ist auch ein Berührungspunkt zu den Menschenbildern von Sander zu sehen. Die abgebildeten Personen werden sowohl in der historischen wie auch in der aktuellen fotografischen Herangehensweise im Kontext ihres Berufes gesehen. Die Intention bei Rast zielt dabei aber nicht auf eine typologisierende Betrachtung, die den Menschen in der Prägung seiner gesellschaftlichen Klasse gefangen sieht. In der Kombination mit Detailansichten von kreativen Produkten und handwerklichen Prozessen wird eher ein Bild gezeichnet von Individuen, die ein Selbstbewusstsein aus ihrer Tätigkeit entwickeln.
Charlotte Wermuth, Spuren lesen in Köln
Die Paradoxie des Widersprüchlichen prägt dagegen die Bildsprache, mit der Charlotte Wermuth ihre Serie Spuren lesen in Köln realisiert hat. Sie räumt in ihren Bildfolgen das urbane Chaos nicht auf, sondern lässt die mannigfaltigen Einflüsse auf den Menschen im Stadtleben von allgegenwärtigen religiösen Ikonen bis hin zu omnipräsenten Mythen der Medienwelt in poetischer Form aufeinanderprallen. Madonnenfiguren, Wandmalereien, Werbeflächen. architektonische Details und Momentaufnahmen von Menschen fügen sich zu einer Art Montage zusammen, die in ihren Schnittstellen Raum lässt für die Fantasie des Betrachters.
Oliver-Parviz Engel, Be the Change
Oliver-Parviz Engel verlässt für seine fotografische Arbeit den vertrauten Lebensraum und bereist mit dem eigenen Fahrrad Indien, Nepal und Sri Lanka. Die kulturellen Umwälzungen in einer globalisierten Welt sind dabei das zentrale Thema seiner S/W-Fotografien der Serie Be the Change. Bei seinem Blick auf diese Welt im Spannungsfeld westlicher und östlicher Wertvorstellungen, zwischen Armut und Lebenslust vertraut er auf die Philosophie der Streetphotography. In ungestellten Momentaufnahmen fängt er die entscheidenden Augenblicke ein, in denen die Menschen im Kontext ihres Lebensumfeldes authentische Geschichten über ihren Alltag erzählen.
Susanne Baumgarten, Cuba
Einem besonders schwierigen Thema hat sich Susanne Baumgarten mit ihrer Arbeit Cuba gewidmet. Mythos und Wirklichkeit sind dicht verschlungen in dem Image dieser Insel zwischen den politischen Systemen, der gelebten Utopie eines menschlichen Sozialismus, die zugleich das immerwährende Feindbild der kapitalistischen Welt verkörpert. Mit einer sehr subjektiven Bildsprache, in der sich Traum und Realität in vielschichtigen Kompositionen permanent begegnen, entrinnt sie der Gefahr, in einfache Klischeebilder einer farbenfrohen Idylle zu verfallen oder eine ideologische Bewertung zu manifestieren. Dem Betrachter bleibt die Freiheit, zu sehen ohne die eindeutige Interpretation gleich mitgeliefert zu bekommen.