Lichtblick-School

The Theatre of Real Life vol.2

Seminar von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School

April bis September 2011

 


Christian Kosfeld, Kontrollierte Wildheit

mit Arbeiten von:
Eric Alexander • Bogi Bell • Peter Feldhaus • Christian Kosfeld
Can Mileva Rastovic • Gottfried Scheel-Häfele • Michael Schoberth
Ortrun Stumpf • Peter Susewind

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Das Leben ist zugleich Wirklichkeit und Fiktion, es ist inszeniert und zufällig, es ist alltäglich und besonders. The Theatre of Real Life, diesen scheinbar unauflösbaren Widerspruch mit vieldeutigen Bildgeschichten aufzulösen ist das Ziel der Fotografien, die im 6-monatigen Seminar von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School in Köln entstanden sind. Fotografische Arbeiten in der zeitgenössischen Kunst, die ein realistisches Bild unserer Welt entwerfen wollen, untermauern ihr Anliegen oft mit Begriffen aus der Wissenschaft, wobei sie sich auf eine stringente Konzeption bei der Zusammenstellung ihrer Fotografien berufen. Das Theatralische hat in diesem System der reinen Fakten keinen Platz. Ein komplexes Erleben unserer Umwelt mit einem geschärften Bewusstsein für die individuelle Wahrnehmung und  die gesellschaftlichen Einflüsse, erfordert aber ein präzises Verständnis für eine Dramaturgie der Bilder. Jedes fotografische Werk ist eine subjektive Konstruktion von Wirklichkeit und somit gibt es auch keine einfache Regel für eine richtige Methode. Überzeugende Arbeiten können nur entstehen, wenn die Beziehung zur Welt in einem intensiven Zusammenwirken von Bildern einen leidenschaftlichen Ausdruck findet. Ein Schwerpunkt des Seminars liegt darin, beim Editieren jeder individuellen Serie die besondere Charakteristik der verwendeten Bildsprache herauszuarbeiten. Die Bandbreite der Stilmittel reicht hierbei von einer logischen Reihung bis hin zu einer experimentellen Brechung einer linearen Erzählung.


Can Mileva Rastovic, Afrique du Pop

Can Mileva Rastovic schafft mit ihren Bildern der Arbeit Afrique du Pop ein Dokument ihrer Reise mit einem alten Nissan Patrol und drei Reisegefährten zum Festival au Desert in der malinesischen Sahara. Fotografische Waypoints auf der 7000 km langen Strecke von Köln nach Timbuktu bilden ein Essay, das ein Lebensgefühl transportiert und von einem konkreten Interesse an der afrikanischen Musikkultur geprägt ist. Portraits bei dem Konzert zur Hommage an den verstorbenen westafrikanischen Sänger Ali Farka Toure, alltägliche Strassenszenen und Innenaufnahmen von Wohnungen lassen im Kopf des Betrachters ein Roadmovie entstehen und eine Sehnsucht danach, die Musik hören zu können.


Peter Susewind, Zustände

Für Peter Susewind ist es im Grunde nicht von Bedeutung, wo er fotografiert. Er kann seine Bilder am Küchentisch finden wie auch im Death Valley. Er reagiert intuitiv auf Szenerien, die für ihn unmittelbarer Ausdruck eines Bewusstseinszustandes sind. Objekte, Menschen und Situationen des alltäglichen Lebens entwickeln für ihn in diesem Moment ein solch starkes Eigenleben, lösen sich so sehr aus ihrem funktionalen Kontext, dass alles andere ausgeblendet wird, was diese Konzentration stören würde. Er ist nicht auf der Suche nach dem Skurrilen, vielmehr provoziert er den Zufall, in dem die vertrauten Menschen und Dinge in einer besonderen Konstellation zu Darstellern eines absurden Theaterstückes werden.


Bogi Bell, Agatha - a personal leg

Agatha – a personal leg ist eine sehr persönliche Auseinandersetzung von Bogi Bell mit ihrem Aufenthalt Im St. Agatha Krankenhaus Köln. In zweifacher Hinsicht spielt die Fotografie für sie eine erhebliche Rolle bei der Verarbeitung dieses Erlebnisses. Im Krankenbett nutze sie ihr iPhone, um ihre alltäglichen Rituale, ihr persönliches Umfeld tagebuchartig festzuhalten und somit ihrer besonderen Situation zwischen Angst und Hoffnung Ausdruck zu verleihen. In einer zweiten Phase der Aufarbeitung dieses Bildmaterials ist ihr die tiefere Bedeutung dieser Fotografien jenseits einer reinen Dokumentation bewusst geworden. Sie geben ihrem Denken und Fühlen in dem Zustand einer völligen Abhängigkeit eine reale Existenz und helfen ihr, einen selbstbewussten Umgang mit ihrer Lebenssituation zu finden.


Christian Kosfeld, Kontrollierte Wildheit

Der Zoo ist ein Ort der Sehnsucht des Menschen nach Wildnis, von der keine Gefahr ausgeht. Das Raubtier ist verlockend, wenn es hinter Sicherheitsglas oder Gitterstäben erscheint. Für Christian Kosfeld ist die Interaktion von eingesperrten Tieren und den Besuchern in den Zoologischen Gärten ein signifikantes Szenario für den Umgang unserer zivilisierten Gesellschaft mit dem Animalischen. Ähnlich wie die S/W-Fotografien „The Animals“ von Garry Winogrand in den 1960er Jahren werfen die Farbaufnahmen von Kosfeld einen sarkastisch-liebevollen Blick auf dieses Thema. Seine Bilder aus der Serie Kontrollierte Wildheit zielen dabei weniger auf den grotesken Moment, vielmehr zeigen sie die skurrilen Konstruktionen einer Freizeitwelt auf der Schwelle zwischen Realität und Phantasie.


Michael Schoberth, Weggefährten

Mit seiner Serie Weggefährten richtet Michael Schoberth seinen Blick auf einen Ort, den man am besten mit dem Auto möglichst zügig durchfährt. Als Fußgänger sieht man dagegen recht verloren aus  in der Hauptstätter Straße, einer vierspurigen Hauptverkehrsstraße in Stuttgart. Die Fotografien wirken wie eine Entschleunigung. Die Geschwindigkeit als absolute Maxime einer modernen Gesellschaft wird in Frage gestellt, indem sie auf ein menschliches Maß reduziert wird. Der Passant wirkt in höchstem Maße verletzlich, wenn die 7,5-Tonner in unmittelbarer Nähe an ihm vorbeirauschen. Die distanzierte Betrachtung einer sachlichen Dokumentation aufgebend, versetzt Schoberth den Betrachter unmittelbar in das Geschehen auf der Strasse und lässt ihn den Lärm und die Abgase fast körperlich spüren.


Ortrun Stumpf, Vorsicht Kunst

Die Street Photography ist für Ortrun Stumpf das ideale Mittel, ihrer Teilhabe am öffentlichen Leben Ausdruck zu geben und in Bildern einzufangen. Die Stadt wird für sie zur Bühne, auf der die Rollenspiele des modernen Menschen zwischen inszenierter Individualität und unbewußter Uniformität aufgeführt werden. Sie ist auf der Suche nach den entscheidenden Augenblicken, in denen sich komplexe Szenerien zu vielschichtigen Bildern des Urbanen verdichten. In ihrer Serie Vorsicht Kunst begegnet sie mit subtiler Ironie dem Aufeinanderprallen von Kunst- und Alltagsleben im Stadtraum. Mit einem präzisen, analytischem Blick läßt sie Bildebenen entstehen, in denen diese verschiedenen Welten parallel zueinander existieren, ohne sich wirklich zu treffen.


Peter Feldhaus, Wilde Gärten

Die Wilden Gärten von Peter Feldhaus entwickeln ein ganz anderes Bild einer idealen Lebensform. Von dem tiefen Wunsch angetrieben, die Entfremdung von der Natur in einer modernen Industriegesellschaft zu überwinden, bekommt der Garten für den ökologisch bewussten Menschen als selbstbestimmter und gestalteter Lebensraum eine zentrale Bedeutung. Feldhaus dokumentiert mit seiner Serie die vielfältigen alternativen Bewegungen, die zunehmend auch im urbanen Raum, neue Anlagen und Gemeinschaftsgärten entstehen lassen. Seine detailreichen Aufnahmen geben einen präzisen Einblick in einen anderen Umgang mit der Natur, wobei er seine Sympathie für die Suche nach einem besseren Miteinander deutlich zum Ausdruck bringt.


Eric Alexander, Der Riss

Mit seiner Arbeit Der Risslässt sich Eric Alexander auf ein Experiment ein bei der Wahrnehmung des urbanen Raums. Ihn reizt das Paradoxe, die Gleichzeitigkeit einer Statik des Bildraums und einer Flüchtigkeit des Moments. Eine Vielzahl von Aufnahmen verschmelzen zu einer panoramatischen Vision der Stadt, zu ungewöhnlichen Bühnen des Alltags, in die das Situative wie ein Riss im Raum- Zeit-Kontinuum eingreift. Die Fotoarbeiten wollen keine perfekte Illusion schaffen, sondern betonen geradezu das Fiktive der erzeugten Bildwelt. Die sehr subtilen Brüche im realistischen Abbild der Welt erzeugen eine Irritation des Betrachters, die ihn neugierig macht, genauer hinzuschauen auf das was er im täglichen Leben übersieht.


Gottfried Scheel-Häfele, Döner Station

Die Idee für die Fotografien von türkischen Geschäften und Imbissbuden in Darmstadt lag für Gottfried Scheel-Häfele darin, den Menschen in der Partnerstadt Bursa zu zeigen, wie sich ihre Landsleute in der Fremde eine Existenz aufbauen und sich dabei ein Stück ihrer alten Heimat bewahren. Es ist also ein im Kern sehr dokumentarischer Ansatz, der ihn zu seiner Serie Döner Stationmotiviert hat. Im Laufe seiner Arbeit ist ihm bewusst geworden, dass er seine Orte nur in der Dämmerung oder in der Nacht fotografieren kann, wenn die türkischen Geschäfte mit ihrer ganz eigenen Farbigkeit wie Bühnen einer anderen Kultur zur Entfaltung kommen. Die künstliche Lichtsituation ermöglicht es erst, die Wirkung dieser Räume im Kontext des Stadtbildes zu erfassen.