6-monatiges Seminar von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School
Juli - Dezember 2022
Dieter Kunzke, Listen to the Butterfly
mit Arbeiten von:
Claudia Omonsky, Dieter Kunzke, Christiane Harrison, Christiane Bohaboj, Karin Wiedenhöfer, Frank Kottisch und Bernd Keiser
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Der Akt des Fotografierens kann als ein Durchgangsstadium erlebt werden von der Erfahrung real sichtbarer Alltagswirklichkeit hin zu einer Imagination des sachlich nicht Erfassbaren. Die Arbeiten in diesem Katalog bewegen sich auf dieser Grenze zwischen einer konkreten Abbildung der Lebenswelt auf der einen Seite und der magischen Überhöhung, halluzinatorischen Illusionierung und ironischen Selbstinszenierung auf der anderen Seite. Gerade im Zusammenwirken der unterschiedlichen Sichtweisen werden die persönlichen Haltungen hinter den Bildern transparent.
Claudia Omonsky, white noise
Das Wandeln in urbanen Räumen wird in den Fotografien der Serie white noise von Claudia Omonsky zu einem Eintauchen in magische Welten jenseits einer nüchternen Darstellung des Faktischen. Reste des Authentischen sind in allen Aufnahmen aber noch wahrnehmbar und somit bewegen sich die S/W-Fotografien auf der Schnittstelle einer Verortung des Gesehenen und zugleich einer Imagination des Empfundenen. Mit sehr subjektiv fragmentierten Bildausschnitten und ausdrucksstarken Lichtstimmungen läßt die Fotografin architektonische Räume in der Stadt wie eine Bühne für ein Theater des Realen Lebens erscheinen. Alltägliche Objekte bekommen dabei ein Eigenleben und werden zu Darstellern einer ganz persönlichen Erzählung über das Gegenwärtige voller Rätsel und Überraschungen.
Dieter Kunzke, Listen to the Butterfly
Die Streetphotography ist eine besondere Herausforderung an den Fotografen, da mit ihr permanent der Zufall provoziert wird. Ihre Philosophie besteht gerade darin, nichts im voraus zu planen, sondern sich völlig auf den Instinkt zu verlassen, im entscheidenden Augenblick komplexe Situationen fotografisch so zu erfassen, dass im visuellen Zusammenspiel von Mensch, Objekt und Raum alltägliches Leben in ganzer Vielfalt zum Ausdruck kommt. Kein starres Konzept zu haben bedeutet für Dieter Kunzke keineswegs absichtslos zu handeln. In seiner Bilderreihe Listen to the Butterfly wird seine fotografische Haltung deutlich, eine Poesie der flüchtigen Momente zu kreieren. Die Offenheit gegenüber dem Unerwarteten ist dafür eine wichtige Voraussetzung und so entwickelt er im Zusammenwirken von Intuition beim Akt des Fotografierens und Konzeption beim Editieren des gesammelten Bildmaterials seine individuelle Bildsprache.
Christiane Harrison, A la Maison
Auch Christiane Harrison läßt in ihren Bildwelten gewöhnliche Objekte in einem ganz eigenen Licht erscheinen. Bei ihr sind es aber die häuslichen Gegenstände aus ihrem persönlichen Umfeld, die sie in eigenwilligen Stillleben und mit skurrilen Selbstinszenierungen aus ihrer Funktionalität entrückt. Dieser Bruch mit der Konvention öffnet Freiräume, in denen Rollenzwänge ironisch hinterfragt werden und gängige Ordnungssysteme ins Wanken geraten. Mit der Arbeit A la Maison kreiert die Fotografin eine humorvolle und hintergründige Melange unterschiedlicher Perspektiven auf den alltäglichen Wahnsinn. Arrangements mit der Anmutung klassischer Stillleben wirken zugleich wie Bilderrätsel, da der Zusammenhang zwischen den Objekten nicht einfach zu entschlüsseln ist und der performative Einsatz des eigenen Körpers gibt dem Ringen mit den Tücken des Alltags einen selbstironischen Ausdruck.
Christiane Bohaboj, Wild Things
Wie ein psychedelisches Taumeln durch eine urbane Welt voller Bilder, Zeichen und suggestiver Botschaften wirkt der visuelle Strom von Fotografien aus der Serie Wild Things von Christiane Bohaboj. Es scheint keine Trennung mehr zu geben zwischen Schein und Wirklichkeit. Puppen wirken so echt, als würden sie miteinander flirten, bevor man das Klebeband erkennt, das den Kopf am Körper hält. Und die Queen verliert jegliche Orientierung in einem Chaos von Aufklebern. Die Absurditäten eines von Medien und künstlichen Mythen überfluteten Lebensraumes sind für die Fotografin so omnipräsent, dass sie nicht wegzudenken sind aus dem Bild der Gegenwart. Sie begegnet diesen aber nicht mit einer kritischen Distanziertheit, sondern schafft mit Experimentierfreudigkeit und Witz eine Erzählung voller surrealer Überraschungen.
Karin Wiedenhöfer, Zaunkönig
Die Fotografien von Karin Wiedenhöfer führen die Betrachter*innen wieder zurück in ein erdverbundenes Leben, in der die Nähe zur Natur eine wichtige Rolle spielt. Die ganz eigene Welt von Schrebergärten, in denen Menschen Erholungsräume vom Alltagsstress suchen, übt eine Faszination auf die Fotografin aus. In der Serie Zaunkönig begegnet sie ihren Protagonist*innen mit großer Empathie und kommt mit ihren Portraits nah an die Personen heran. In der Kombination mit typologischen Aufnahmen der Gartenhäuser und Detailansichten von Objekten, Skulpturen und Gartenzwergen in den Anlagen entsteht eine komplexe Dokumentation einer Lebenskultur. Jenseits einer sachlichen Nüchternheit wird mit einem subjektiven Blick und vielschichtigen Erzählebenen eine persönliche Wahrnehmung formuliert, die ein tieferes Verständnis ohne vordergründige Wertungen möglich macht.
Frank Kottisch, Passing Through
Das Verhältnis des Menschen zur Natur ist auch für Frank Kottisch ein zentrales Thema seiner Fotografien mit dem Titel Passing Through. Mit einem fragmentarischen Blick löst er seine Motive aber aus konkreten räumlichen Bezügen heraus und gibt ihnen mit einer formal verdichteten Abstraktion einen allegorischen Charakter, der über das reine Abbild hinaus komplexe Assoziationen bei den Betrachter*innen auslöst. Im Zusammenwirken von Restnaturen und von Menschen konstruierten Objekten und Räumen werden die Aufnahmen zu Sinnbildern einer Kultur auf der Schnittstelle zwischen Dissonanz und Einklang mit der Natur. Auf der einen Seite erscheint die Welt der Pflanzen domestiziert im Garten oder in der Vase und auf der anderen Seite entwickelt sie ein Eigenleben und erstrahlt im magischen Licht.
Bernd Keiser, Himmelfahrt
Zu einer Himmelfahrt wird für Bernd Keiser das Sich-Treiben-Lassen im städtischen Leben mit all seinen Verlockungen. Wie in einem Schleudergang durchdringt sich der banale Alltag mit Neonwelten, Kirmesattraktionen und kirchlichen Motiven. Die Entrückung aus dem Gewöhnlichen ist das, was der sehr heterogene Bildersog aus S/W- und Farbfotografie, Narration und Abstraktion, Dokumentation und Imagination, miteinander verbindet. Es ist keine vereinfachende Ordnung, die die Puzzlestücke der Wahrnehmung zu einem eindeutigen Bild der Jetztzeit zusammenfügen will, sondern eine komplexe Fragestellung, wie die Mixtur aus Sehnsüchten, Vernunft und Religion unser Leben prägen. Gerade der demokratische Blick, der keine Unterscheidung zwischen dem Trivialen und dem Bedeutenden macht, lässt dabei ein ungewöhnliches Zeitzeugnis entstehen.