Lichtblick-School

The Theatre of Real Life Vol. 20

6-monatiges Seminar von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School
Januar - Juni 2022


Dieter Kaufmann Vor Ort ist alles anders

mit Arbeiten von:
Dieter Kaufmann, Gordana Bursac, Marc Schewe und Alexander Jenner

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Die Wahrnehmung unserer Lebenswelt mit der Kamera ist ein hochkomplexer Prozess, der von sehr unterschiedlichen subjektiven Interessen geleitet wird. Im idealen Fall stellt der Akt des Fotografierens die intensive Kommunikation eines Individuums mit der Umwelt dar. Die dabei gesehenen Bilder können im Zusammenwirken ein Narrativ entwickeln, in dem Beziehungen sichtbar werden zwischen Menschen, Tieren, Objekten und Orten. Losgelöst von dem Anspruch, objektive Wirklichkeiten vermitteln zu wollen, bietet das Medium der Fotografie die Möglichkeit für die Entwicklung einer Bildsprache, die den persönlichen Empfindungen Ausdruck verleiht, auch wenn diese keiner linearen Logik folgen. Erst dieser offene Dialog mit der Aussenwelt ohne vorschnelle Wertungen lädt die Betrachter*innen ein, das Wahrgenommene mit eigenen Sichten auf die Welt zu vergleichen und somit in einen lebendigen Diskurs über die Bedingungen des zeitgenössischen Lebens einzusteigen.

Die Teilnehmer*innen des Fotoseminars The Theatre von Real Life von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School Dieter Kaufmann, Gordana Bursac, Marc Schewe und Alexander Jenner haben auf sehr unterschiedliche Weise in langfristigen fotografischen Projekten einen ganz persönlichen Blick auf ihr Lebensumfeld formuliert.


Dieter Kaufmann Vor Ort ist alles anders

Dem Credo einer Streetphotography folgend bewegt sich Dieter Kaufmann ohne einen vorher fest definierten Plan in Stadträumen. Er ist dabei immer auf der Suche nach dem zufälligen Moment oder der unvorhersehbaren Konstellation von Mensch, Objekt und Raum, die für ihn ein gegenwärtiges Lebensgefühl verkörpert. Nichts Spektakuläres oder Bedeutungsvolles ist auf seinen Bildern der Serie Vor Ort ist alles anders zu finden, da er mit seinen vielschichtigen und präzise ausformulierten Farbfotografien eher den banalen und meist übersehenen alltäglichen Gegenständen eine Bühne schafft. In ihrer Sequenzierung changieren die Fotografien zwischen Abstraktion und Verortung. Formal extrem verdichtete hochformatige Sichten auf Zeichen und architektonische Details im Stadtraum gehen fließend über in querformatige Aufnahmen von Stadtlandschaften. Gerade in der Kombination von Dokument und Imagination entsteht ein Blick auf den urbanen Raum, der diesen als einen lebendigen Organismus begreift.


Gordana Bursac, How do we answer?

Im Zentrum der Fotoserie How do we answer? von Gordana Bursac über Tiere, die auf Gnadenhöfen leben, steht die Frage, wie der Mensch mit seinem zwiespältigen Verhältnis zum Tier, der Liebe zu Haustieren auf der einen Seite und dem Schlachten von Vieh auf der anderen Seite, leben kann. Bei einer solch emotional aufgeladenen Thematik ist es von wesentlicher Bedeutung, die eigene fotografische Haltung genau zu verstehen. Schnell begreift die Fotografin, dass es ihr nicht darum geht, mit Bildern vom Leid der Tiere schockieren zu wollen oder im journalistischen Sinn eventuelle Missstände aufzudecken. Je mehr sie in die Welt der Gnadenhöfe eintaucht, desto weniger möchte sie bedeuten oder beweisen, sondern vielmehr mit einem einfühlsamen Sehen Bilder von der Beziehung zwischen Mensch und Tier in diesem besonderen Umfeld kreieren, die sich einer eindeutigen Wertung entziehen. Auch wenn die Grundstimmung in den Bildern von einer Traurigkeit geprägt ist, wird in den ungewöhnlichen und ausdrucksstarken Porträts der Tiere deutlich, wie sehr Gordana Bursac deren Würde respektiert.


Marc Schewe, CoMMUniCAzione

Im Geiste einer humanistischen Fotografie richtet Marc Schewe den Fokus auf das alltägliche Leben der Menschen. Wie eine Reminiszenz an Cartier-Bresson wirken seine expressiven S/W-Fotografien, die, in einem magischen entscheidenden Augenblick gesehen, eine ganze Geschichte erzählen können. Der Fotograf ist sehr nah dran an seinen Protagonist*innen, wodurch diese eine starke körperliche und emotionale Präsenz ausstrahlen. Kommunikation mit der Welt, die ihn umgibt, ist die zentrale Motivation für seine Fotografie und eine unmittelbare CoMMUniCAzione sieht er in der Sprache der Körper, da diese nicht von Ländergrenzen abhängig ist und überall verstanden werden kann. Das Vertrauen auf die Intuition beim neugierigen Blick auf die ihn umgebenden Menschen ist die Basis für seine spontane Erfassung von komplexen Situation. Aus einer Vielzahl von Bildern hat er dann beim Editieren die glücklichen Momente ausgewählt, in denen seine inneren Bilder einer perfekten Kommunikation und die äußere Welt in einem glücklichen Moment zusammenfinden.


Alexander Jenner, Vertraute Leere

Einen ganz anderen Blick auf sein Lebensumfeld wirft Alexander Jenner mit seiner Serie Vertraute Leere. In den Szenerien seiner Bilder sind keine Menschen zu sehen und doch sind sie latent anwesend, wobei die Spuren ihrer Existenz in alltäglichen Gegenständen erfahrbar werden. Mit eigenwilligen Anschnitten und künstlichem Licht wirken diese einerseits märchenhaft entrückt, aber zugleich auch verhaftet in einer trostlos erscheinenden Realität. Gerade dieses Zusammenwirken von genauer Beobachtung und Imagination einer Sehnsucht macht den besonderen Reiz dieser Serie aus. Jenseits des rein dokumentarischen Abbildes von Wirklichkeit, geben die Bilder auf einer Metaebene einen Einblick in das Gefühlsleben des Fotografen. Wie ein roter Faden ziehen sich durch die Bildsequenz Fotografien von Pflanzen, die oft verloren wirken in einer von Menschen konstruierten Welt. Kontrastiert mit den stilllebenartig aus ihrer reinen Funktion losgelösten Alltagsobjekten veranschaulichen sie die Suche des Fotografen nach seinem Selbstverständnis in einer vertrauten Leere.