Lichtblick-School

The Theatre of Real Life Vol. 10

6-monatiges Seminar von Wolfgang Zurborn an der Lichtblick School
April - September 2016


Stefanie Minzenmay


mit Arbeiten von:
Stefanie Minzenmay • Susanne Hartmann • Tilman Neubert
Stefan Kögel • Frank Szafinski • Uwe Maszkiewicz
Christine Pfeifle • Juliane Wende • Dietmar Modes

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Die gelebte Realität und der Traum sind gegensätzliche Pole in der Vorstellung unserer Welt, aber sie können nicht völlig losgelöst voneinander betrachtet werden. Für die genreübergreifende Kunstform des Magischen Realismus ist es gerade die vielschichtige Verflechtung von Fantasie und Empirie, die erst eine originäre Darstellung des Alltags jenseits des Gewohnten möglich macht.

Die Teilnehmer/Innen des 6-monatigen Seminars „The Theatre of Real Life“ an der Lichtblick School in Köln haben sich auf die Suche gemacht nach fotografischen Ausdrucksmitteln, die sich befreien von den Grenzen des Naturalistischen und strikt Dokumentarischen, um sich der Wahrheit auf unkonventionellen und eigensinnigen Wegen anzunähern. Das Wundersame und das Alltägliche führen eine spannungsvolle Koexistenz. Ihre Bildgeschichten handeln von dem Unerwarteten und der Wandelbarkeit unserer Wahrnehmung.

In einem experimentellen Prozess wurde ein breites Spektrum künstlerischer Ansätze geschaffen zwischen Authentizität und Inszenierung, Darstellung und Imagination mit Blicken in Außen- und Innenwelten.

 


Stefanie Minzenmay

Stefanie Minzenmay bewegt sich mit ihren fotografischen Arbeiten auf der Schnittstelle zwischen Künstlichkeit und Natürlichkeit. Inspiriert von den Agrarlandschaften des Fotografen Heinrich Riebesehl, den man als Vertreter eines Magischen Realismus in der Fotografie bezeichnen kann, hat sie im ländlichen Umfeld Szenerien aufgespürt, in denen die vorgefundenen Objekte ein surreales Eigenleben zu entwickeln scheinen. Sie werden in ihren Farbfotografien zu unbeabsichtigten Skulpturen im offenen Raum. In ihrer visuellen Erscheinung tritt ihr funktionaler Zusammenhang in den Hintergrund. Minzenmay kombiniert diese Aufnahmen des Künstlichen im natürlichen Umfeld mit Fotografien von Natürlichem im künstlichen Umfeld, indem sie Gemüse wie Kunstobjekte im Studio inszeniert. Auf sehr subtile Weise verbindet die Fotografin damit die Qualitäten einer präzisen seriellen Fotografie mit der Skepsis gegenüber einer „falschen Natürlichkeit“ des Mediums Fotografie, wie sie Roland Barthes beschrieben hat.


Susanne Hartmann, Eine Nacht mit den Pferden

In eine poetische literarische Erzählung entführt uns Susanne Hartmann mit den Bildern ihrer Serie Eine Nacht mit den Pferden. Auch wenn kein Mensch in ihren Fotografien zu erkennen ist, so sind doch in allen Details Spuren seiner Existenz sichtbar. Der subtile Umgang mit Licht und Perspektive lässt die abgebildeten Räume wie eine Theaterbühne erscheinen, in dem alle Gegenstände zu Darstellern von emotionalen Zuständen werden.
In einer oft sehr fragmentarischen Sicht wird eine Zweckgebundenheit aufgehoben, womit ein frei assoziatives Zusammenspiel der Einzelbilder in der Serie ermöglicht wird. Der fließende Wechsel zwischen Bildern des häuslichen Inventars und Pflanzendarstellungen lässt einen durchlässigen Raum zwischen Innen- und Außenwelten entstehen voller Intensität und Leichtigkeit.


Tilman Neubert, Fundstücke

Tilman Neubert entdeckt seine Fundstücke in seiner Nachbarschaft. Es sind Alltagsobjekte, die nicht mehr gebraucht werden und deswegen als Sperrmüll auf der Strasse enden. Gerade in diesem Zustand werden sie für den Fotografen zu vielsagenden Zeugnissen des häuslichen Lebens zwischen Sehnsüchten und Enttäuschungen. Mit einem magisch wirkenden Licht schafft er in seinen S/W-Fotografien einen Schwebezustand zwischen surrealer Überhöhung und gesellschaftlicher Verortung. Der Betrachter sieht, dass es sich bei der letzten Abbildung um einen Bügeltisch handelt, der zu lange seine Dienste erfüllt hat, aber die rätselhaft wirkende Fotografie stimuliert zugleich die Fantasie, dass es auch ein unbekanntes Flugobjekt sein könnte, das im Vorgarten gelandet ist.


Stefan Kögel

Stefan Kögel nimmt uns mit auf eine Reise zu Orten, die für Ihn eine persönliche Bedeutung haben. Melancholie schwingt mit in all seinen Fotografien zwischen Fernweh nach einer kontemplativen Ruhe in weiten Landschaften und Sehnsucht nach einer Identifizierung mit der nächsten Umwelt. Im Wechselspiel der Sichten auf Natur- und Kulturräume entstehen Seelenlandschaften, in denen das Vertraute oft fern und das Ferne vertraut erscheint. Anders als in einer dokumentarischen Sicht auf die Welt, in der Menschen, Objekte und Landschaften in einer sachlichen Perspektive vergleichend nebeneinander gestellt werden, geht es bei der Abfolge dieser Bilder gerade darum, das Raumkontinuum zu brechen und logische Zusammenhänge zu vermeiden. Erst dadurch können die Aufnahmen in ihrer visuell komplexen Interaktion als subtile Formulierungen von emotionalen Zuständen wahrgenommen werden.


Frank Szafinski,Der kalte Hund

Frank Szafinski hat in seiner langjährigen Erfahrung mit der Theaterfotografie viele Erkenntnisse gewonnen, wie er mit seinen Bildern ausdrucksstarke Inszenierungen von Inszenierungen schaffen kann. Bei seiner Serie Der kalte Hund findet er die Theatralität jetzt im Alltäglichen. Die Dramaturgie seiner Fotografien folgt dabei keiner linearen Narration oder journalistischen Story. Seine märchenhaften Erzählungen unterhalb der Nachrichtenlage lassen gerade durch ihre ungewöhnliche Sequenzierung der Bilder eine Spannung entstehen, die die Vorstellungskraft des Betrachters stimuliert. Eindeutige Erklärungen werden in den komplex komponierten quadratischen Einblicken in alltägliche Lebenswelten nicht geliefert und als einziges Textfragment versinnbildlicht das Wort „was“ den fragenden, neugierigen Blick des Fotografen.


Uwe Maszkiewicz, Twenty

Mit seiner Portraitserie Twenty dokumentiert Uwe Maszkiewicz ein Gespräch mit seinen Eltern über die Zeit als sie 20 Jahre alt waren und das familiäre Zusammenleben danach mit all seinen Ausformungen zwischen Freud und Leid. Die Portraitsitzung schaffte dabei einen Rahmen, der den Prozess dieser nicht alltäglichen Annäherung erst möglich machte. Somit war es für den Fotografen auch sofort klar, dass es nicht darum geht, aus den vielen mit einer analogen Mittelformatkamera auf S/W-Negativmaterial aufgenommenen Portraits jeweils ein einzelnes ausdrucksstarkes Bild zu wählen. Erst die Anordnung in einer Sequenz drückt für Uwe Maszkiewicz die Intensität der Begegnung mit Vater und Mutter aus, mit den wechselnden Gesichtsausdrücken zwischen Heiterkeit und Strenge. Ein neutral weisser Hintergrund und die kontinuierliche Beibehaltung des Bildausschnitts sensibilisieren den konzentrierten Blick des Betrachters auf die subtilen Änderungen in der Mimik der Portraitierten.


Christine Pfeifle

Christine Pfeifle löst sich mit ihren Fotografien vom reinen Abbild hin zum Generieren ganz eigener abstrakt wirkender Bildkonstruktionen. Gegenstandslos sind ihre Arbeiten aber keineswegs, da sie aus Recycling-Material Objekte kreiert, die als Ausgangsmaterial für ihre Bildschöpfungen dienen. Es ist gerade der schmale Grat zwischen der Fassbarkeit der räumlichen Tiefe eines realen Körpers und der abstrahierenden visuellen Verdichtung einer ausdrucksstarken Bildkomposition, die ihren Fotografien eine unverwechselbare Eleganz verleiht. In einem spielerischen Prozess sucht die Künstlerin nach dem Unvorhersehbaren und Zufälligen, dem sie in der geordneten Komplexität ihrer Bildwelten die Form einer nahtlosen Fluidität verleiht.


Juliane Wende

Wie in einem Tagtraum bewegen wir uns durch den Erzählfluss der Bilder von Juliane Wende. Sie führt uns auf einen Drahtseilakt zwischen Alltag und Fantasy, balancierend zwischen Inszenierungen des Trivialen und Entdeckungen des Ungewöhnlichen. Radikale Bildausschnitte geben viel Raum für die Vorstellungskraft des Betrachters und wirken dabei wie ein Katalysator für ein vielschichtiges assoziatives Zusammenwirken der Einzelbilder. Die realen Räume von Hotelzimmer bis Strand werden durch eine extrem verdichtete Bildgestaltung dekonstruiert, so dass sie sich in der Sequenz der Aufnahmen zu einem imaginären Raum verknüpfen können. Der Mensch ist immer wieder präsent in den Bildern, aber er bleibt dabei anonym. Die wirklichen Hauptdarsteller in Wende's Theater des Alltäglichen sind die Gegenstände des häuslichen Seins, wie Teller, Jacke, Bett und Stuhl, denen sie mit aussergewöhnlichen Perspektiven ein ganz eigenes Leben einhaucht.


Dietmar Modes

Dietmar Modes sucht dagegen seine Bilder im öffentlichen Raum. Das chaotische Szenarium der Strassen in den Geschäftszentren unserer Städte bildet für ihn im mehrfachem Sinn eine starke Faszination. Die vielfältigen Sinneseindrücke mit dem komplexen Zusammenspiel von architektonischen Räumen, Werbebildern, Zeichen und menschlichen Körpern, in lesbare Bildkompositionen zu bannen, empfindet er als eine der großen Herausforderungen einer lebendigen Streetphotography. Ein wichtiges Credo ist für ihn dabei, nichts für die Kamera zu inszenieren. Man muss den Zufall schon permanent provozieren, um Standbilder aus dem Strom der Eindrücke einzufrieren, die unseren zeitgenössischen Lebensraum im Zeichen seiner vollkommenen Durchdringung von medialen und realen Welten eindrucksvoll veranschaulichen können. Die Mythen omnipräsenter Werbebotschaften eines ungezügelten Konsumismus werden in den Fotografien von Dietmar Modes dabei ironisch gebrochen.